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WIEDER EINE NACHT.

von Dieter Puhl

Vermutlich 5 000 obdachlose Menschen schliefen in Berlin in der letzten Nacht im Freien.

Der gestrige Tag hatte es schon in sich, das merkte sogar ich, selbst mit 2 Flaschen Wodka und etlichen Bieren intus, es wird kalt, ungemütlich, es ist feucht, riecht aber schon gewaltig nach Schnee. Immerhin, das Schnorren funktionierte, das Flaschensammeln auch, 8,60.- sind keine schlechte Tageseinnahme gewesen. Reichte für den Suff, überwiegend, den Rest hatte Udo im Supermarkt geklaut. Mich erwischen sie sofort dabei, er sieht nicht so fertig  aus wie ich, stellt sich wohl aber auch nicht so blöd an.

Rasieren wäre angesagt, ne Dusche auch, neue Klamotte auch – aber woher? Kleider machen Leute. Na ja, sind aber auch eine Mogelpackung.  Etikettenschwindel. Und ein Penner bin ich ja, 46 Jahre alt, wenn ich in den Spiegel schaue, selten genug, sehe ich einen mir unbekannten Mann so um die Ende 50. Dann lieber ehrlich – sollen mir das doch ruhig alle ansehen.

Dieser Sekundenschlaf, Scheiße, gestern fegte er mir die Beine weg, kein Wunder, seit Wochen habe ich nicht mehr vernünftig geschlafen. Manne sah nicht gut aus nachdem ihm nachts jemand einfach in die Fresse trat, kein Rechter, wie die Zeitungen so oft schreiben, das waren übermütige, dumme, angetrunkene Kids, vermutlich aus Kappeln oder so. Klassenfahrt. Manne lag lange im Krankenhaus, 3 Zähne fehlen und das Gesicht ist nun ganz schief.

Seit diesem Vorfall habe ich nie länger als 2 Stunden geschlafen; die Angst hält wach.
Und jetzt sehe ich etwas wie Manne.
Mensch tut der Kopf weh, „geh ins Krankenhaus, zum Röntgen“, sagte Biene, „du siehst echt farbenfroh aus“.
Sie hat gut lachen, ist ein Mädel, hat noch einen Ausweis, da sind sie freundlicher zu dir im Krankenhaus.
Mich würden sie vermutlich nach 2 Minuten rauswerfen, „sie sind kein Notfall oder so…trinken sie einfach weniger“, habe ich auch schon gehört.
Und dann haute ich einfach mit dem Kopf gegen den Bordstein. Weil ich zu müde war.
„Das ist ein Klopper“ werden jetzt viele denken und das macht sich echt nicht gut beim Schnorren.

Die letzte Nacht hatte es echt in sich.
Um 22.00 hatte ich mir noch einen Schlafsack am Zoo geholt, in der Bahnhofsmission. Gut, es waren noch welche da. Fast ein Sechser mit Zusatzzahl, das Teil war nicht schlecht, fast ein Armani, nicht so ein Plastikteil für 15.-
Gefroren habe ich nicht, die 2 x 2 Stunden, die ich schlief.
Zu dumm, nun ist das Teil richtig nass, es regnete aus Kannen, ein Zelt und ne gute Unterlage, Isomatte hatte ich nicht.
Vielleicht bekomme ich ja heute ein neues Teil

Plan B, ich schiebe das noch hinaus, wäre ein Platz in einer Notübernachtung, nur – ey, sind  die voll und dann nur lauter Idioten da. Und der Lärm. Das Geschnarche. Und die Irren, die wirklich Durchgeknallten, manchmal gefährlicher als die Kids aus Kappeln.  Und dieser Geruch und die ganze Pisse. Am Schlimmsten aber sind die Viecher, kleine hübsche Krabbeltiercher, Läuse wären ja noch okay, aber Krätze? Ne, echt kein Bock! Die begleiten dich dann über Wochen.

Am Wenigsten halte ich aber die blonden, evangelischen Mädchen mit Gitarre aus, mit ihrem Jesus und dem Beten vor dem Frühstück. Hübsch sind sie ja, aber Jesus morgens ohne den ersten Schluck, das ist mir dann doch zu heftig.

Schlimmer als die Krabbeltierchen.

Dann lieber Biene, manchmal, wenn es sehr kalt ist, kommt sie ja ran gekuschelt

Fuck, mit den ganzen Notübernachtungen.  Und dann reden sie immer von Würde und solch hübscher Lyrik.

Saufen darf ich da auch nicht – ohne Saufen geht es aber nicht.

Morgens, der erste Schluck Glühwein von Ulrich, 1,49 für 1,5 Liter, will nicht drinbleiben, „trocknes Kotzen“ nennen es viele, mit dem Tremor könnte ich Elefanten vertreiben, bin ich lieber allein. Der erste Schluck geht ja meist auf die Jacke, alle denken das schmeckt, sollen sie es doch mal probieren, Glühwein um 5.00 in der Frühe. Klar habe ich meine Würde – möchte deshalb nicht, dass mir jemand dabei zuschaut.
Ab kurz vor 6.00 dann vor die Bahnhofsmission Zoo, ans Ende der Schlange, schon 80 Leute vor der Tür, an anderen Tagen deutlich mehr.
>Rein darf man nicht, abends ab 22.00 zur Spätausgabe auch nicht, aber immerhin zwischen 14.00 und 18.00. Für eine Stunde. Manchmal, wenn es keiner merkt, auch für 2.
Mensch, war der Typ am Fenster finster drauf, „Strafarbeiter“ sicher, sollte seine Sozialstunden lieber im Zoo runterreißen.
Schwacher Trost oder auch nicht, in 2 Jahren steht auch er in der Schlange vor der Tür und nicht mehr im Warmen.
Aber – der Kaffee war gut!
Diese Müdigkeit und diese Kälte und ständig die falsche Party.
Und diese Sauferei.

Wie mag es jetzt wohl Clarissa gehen, ich hänge an ihr, meinem Mädchen, meiner Tochter.
Weniger an ihrer Mutter, die hat mich ja einfach vor die Tür gesetzt.
26 ist Clarissa jetzt wohl, seit ungefähr 15 Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen.
Ob ich sie noch wiedererkennen würde?

Sie mich sicher nicht – ist auch gut so!
Ich raffe das noch, eines Tages stehe ich vor ihrer Tür, gut sortiert, wie aus dem Ei gepellt und dann…

Dann wird alles gut.
>Da kommt Udo, meine Lebensversicherung, mein Engel. Etwas zu trinken hat er auch dabei.

„Dieser Tag wird ein neuer Anfang sein,“ lange her, dass ich einen Plattenspieler und Mucke besaß, ein guter Song, mein liebster, von Klaus Hoffmann.

https://www.youtube.com/watch?v=B252AeNVNIE