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GUTE PLATTEN WACHSEN NICHT AN BÄUMEN.

von Dieter Puhl

Alle haben sich an die Räumungen gewöhnt - nur die obdachlosen Menschen nicht.

Kommenden Montag, Fortschritt, es wurde immerhin vorher angekündigt, wird eine Gruppe obdachloser Menschen am Bahnhof Zoo geräumt.
Alle wissen nicht - wohin?!

Die Notübernachtungsplätze in Berlin sind belegt, über 4000 Menschen schlafen im Freien. Natürlich sind die Witterungsbedingungen (immer) ein Problem, es ist aber auch schwierig, eine geeignete Platte (Schlafplatz) zu finden. Wo kann ich ungestört nachts mein Lager aufschlagen, wo werde ich nicht gestört, welcher Platz schützt mich vor Wind, Regen oder Schnee? Wo werde ich nicht belästigt, kann ich den Ort gut erreichen? Schwarzfahren führt zu Inhaftierungen!
Und - wie komme ich mit meinen Nachbarn klar?

Plätze, die diese Anforderungen erfüllen, sind rar, begehrt, manchmal umkämpft. Andere haben ja auch gesucht, stehen vor den gleichen Problemen.
Gute Platten wachsen nicht an Bäumen.

Viele obdachlose Menschen ziehen es vor, sich einen Platz zu suchen, an dem sie allein sind. Schlafen in einem Hauseingang, unter einem Balkon, mogeln sich, ist der Zugang gewährt in Häuser, Keller, Hausböden. Sie wollen keinen Stress, unentdeckt bleiben, allein sind die Chancen dafür höher.
Oft sind es auch die, deren Psyche rattert, die gar nicht mehr mit anderen klarkommen.

Wieder andere, da sind Obdachlose wie der Rest der Gesellschaft, fühlen sich eher in der Gemeinschaft wohl, suchen Gespräche, Kontakte, oft auch Nestwärme.
"Das ist meine Familie."
Zuletzt berichtete Ulli Zelle für die Abendschau sensibel über Menschen, die sich untereinander Schutz geben, andere Medien berichteten auch.
Frauen, allein massiv gefährdet, es drohen Belästigungen, Übergriffe und Vergewaltigungen, sind auf Zweckgemeinschaften angewiesen, stellt sich für sie doch zusätzlich die Frage, wer sie davor schützt.

Eine Dynamik wiederholt sich leider seit Jahren, obdachlose Menschen bekommen das oft nicht in den Griff:
Findet eine kleine Gruppe Betroffener einen geeigneten Platz, bleibt die Gruppe überschaubar, wird sie meist vom Umfeld toleriert.
Ist der Platz aber wirklich gut, erfüllt die genannten Anforderungen, gesellen sich bald andere Obdachlose hinzu.
Die kleine Heimat wird für viele attraktiv.
Das nächtliche Lager wächst, jeder hat auch einen kleinen Hausstand, man nimmt Raum ein.
Fällt auf.

Viele sind gut in der Lage, Ordnung zu halten, ich erinnere mich an Menschen, die im Sommer jeden Morgen den Platz vor ihren Zelten am Schleusenkrug fegten.
Andere bekommen das krankheitsbedingt nicht mehr hin; verfault man selbst langsam über Jahre, kann sich nicht mehr um sich selbst kümmern, schaut man auch nicht mehr, was mit dem Müll passiert.

Die Gegend um die Bahnhofsmission Berlin Zoologischer Garten besitzt für Obdachlose eine hohe Attraktivität, kurze Wege zur Einrichtung und guten Versorgungsstrukturen.
Am Ende der Jebensstraße befindet sich die Hertzallee mit ihren Brückenunterführungen. Der Wind pfeift hier gnadenlos, es ist stets einige Grad kälter als an anderen Orten - aber man ist vor Schnee und Regen sicher.
Mehr als die halbe Miete.

Hier fanden sich vor Wochen einige Menschen ein, die Gruppe wuchs, beide Bürgersteige der Straße sind nun belegt.
Das war dann lediglich eine Frage der Zeit, die Zeit ist nun abgelaufen, am Montag wird geräumt, aufgelöst.
Ordnungskräfte haben daran keine Freude, machen diesen Job nicht gerne, deeskalieren, sind freundlich.

Ansammlungen, kleine Heimstätten, kann man auflösen - obdachlose Menschen nicht.
Sie wurden mehr und weil Instrumente der Sozialarbeit nicht ausreichend bezahlt werden, wird die Anzahl weiter steigen.
Verteilungskämpfe nehmen zu.
Menschliches Leid auch.
Cheyenne und andere werden am Montag ihr Zuhause verlieren - nicht das erste Mal.

 
Bildquellenangabe: uschi dreiucker  / pixelio.de